Die wohl berühmteste Quelle des Staatsarchivs Obwalden, das "Weisse Buch von Sarnen", sieht auf den ersten Blick recht unscheinbar aus. Es handelt sich dabei um ein sogenanntes "Kopialbuch", also um eine Sammlung von Abschriften wichtiger Bündnisbriefe und Urkunden, die um 1470 für Verwaltungszwecke angelegt wurde. Bekanntheit erlangte das Buch allerdings nicht wegen der darin enthaltenen Urkunden, sondern weil der Schreiber – Hans Schriber genannt – auf den letzten rund zwanzig Seiten des Buches eine Geschichte niederschrieb, in der erstmals die Legende des "Thäll" (Wilhelm Tell) überliefert ist. Im "Weissen Buch" vermischten sich verschiedene lokale Befreiungslegenden und Motive aus nordischen Sagen (wie etwa der Apfelschuss, der schon im 13. Jahrhundert in der dänischen Tokosage überliefert ist) zu einer zusammenhängenden Erzählung, die den Ursprung der Eidgenossenschaft erklären und die Auflehnung gegen die habsburgische Herrschaft rechtfertigen sollte. Diese Erzählung diente verschiedenen Chronisten des 16. Jahrhunderts als Vorlage, verbreitete sich über Lieder und mündliche Traditionen und erlangte schliesslich über Schillers "Wilhelm Tell" grösste Berühmtheit.
Das "Weisse Buch" hingegen lag unbeachtet beim Obwaldner Bannerherr und später im Archiv der Kanzlei Sarnen. Erst im 19. Jahrhundert wurde es für die Forschung wiederentdeckt – und zwar bei Archivarbeiten hier im "Hexenturm", der schon damals die historischen Bestände Obwaldens beherbergte und in dem sich das "Weisse Buch" auch heute noch befindet.
Staatsarchiv Obwalden
02.CHR.0003: Weisses Buch von Sarnen; Digitalisat auf e-codices.
Weitere Informationen
Zur Internationalen Archivwoche 2022 verortet das Staatsarchiv alte und neue Geschichtsquellen und verbindet damit die beiden Archivstandorte Hexenturm und Verwaltungsgebäude Hostett, die am Samstag 11. Juni für das Publikum offen sind.